Die Verhaltensökonomik hat in zahlreichen Forschungs-Experimenten festgestellt, dass wir Menschen dazu neigen, Verluste stärker zu empfinden als Gewinne und dies als Verlust-Aversion betitelt. Als ungefähres Maß wurde 2:1 festgestellt, Verluste treffen uns emotional doppelt so stark, als uns Gewinne erfreuen. Was das in Hinblick auf ein schwankungsintensives Aktien-Investment bedeutet, kann man sich leicht ausmalen.
Die verbreitetste Risiko-Kennzahl der Finanzwissenschaft ist die Volatilität, vereinfacht gesagt die Schwankungsbreite. Je höher die Standardabweichung, desto weiter sind die Messdaten vom Mittelwert entfernt. Sie hat sich als wirksames Hilfsmittel erwiesen, um Verteilungen darzustellen, z. B. in der Ökonomie (Einkommensverteilung), Biologie (Körpergröße) oder Meteorologie (Regenmenge).
Einzelaktien sind in der Regel schwankungsintensiver als der Markt-Durchschnitt oder ein breit gefächertes Aktien-Portfolio. Je breiter die Streuung, desto niedriger die Volatilität.
Einer der wortmächtigsten Gegner der Glockenkurve, die die Standardabweichung abbildet, ist der libanesische Risikoforscher Nassim Taleb. Als versiertem Börsenhändler fielen ihm etliche Schwachpunkte des Finanzsystems auf. Die Investment-Welt glaubt, alles im Griff zu haben, doch die Risiken sind höher als angenommen und etliche erfolgreiche Investoren waren wohl eher Glückpilze als geniale Strategen.
Talebs vielbeachtetes Werk „Der Schwarze Schwan“ stellt fest, dass ungesehene Risiken oft nicht wahrgenommen werden, obwohl sie da sind. In extremen Markt-Situationen können häufiger extreme Ausschläge auftreten als vorgesehen. Was gemäß Standardabweichung viele tausend Jahre nicht passieren dürfte, z. B. dass ein Aktienindex um mehr als 5 % an einem Tag abstürzt, kommt in der Wirklichkeit alle paar Jahre vor. So auch Anfang April 2025, als die Zolle-Pläne von Präsident Trump nicht gut ankamen.
Taleb hat Recht, doch das soll uns nicht stören. Eine höhere Rendite bedeutet ein höheres Risiko. Wir können uns fragen: Was macht das mit mir, wenn meine Aktien vorübergehend 20, 30 oder 40 % an Wert verlieren? Dabei führt erst der Verkauf zu einem Verlust, der davor nur auf dem Papier bzw. digital besteht.
Der Umgang des Anlegers mit Schwankungen ist aber der entscheidende Punkt. Für den Anleger zählt, was langfristig passiert. Wir dürfen nicht in Panik verfallen, wenn es zu Schwankungen kommt. Wir müssen uns immer wieder versichern, dass nur die langfristige Perspektive zählt.
Gibt es Länder, in die man bevorzugt investieren soll? Dies bekommt man immer wieder suggeriert, wenn man von Märkten mit hohen Chancen liest. So können Sie sich von Finanzbloggern und Youtubern erklären lassen, warum Sie gerade jetzt z. B. in Indien investieren sollten. Die Auswahl einzelner Länder stellt jedoch ein unnützes Risiko dar, das sehr gut demonstriert werden kann.
Ende des Jahres 1989 stieg der japanische Aktienindex Nikkei nach drei erfolgreichen Börsenjahren auf ein Hoch von 38.915 Punkten. Was folgte war eine tiefe Depression und eine schwere Rezession. Selbst 34 Jahre später, Ende 2023 (33.464 Punkte), war der damalige Höchststand noch nicht erreicht. Was für ein Desaster. Wer global diversifiziert hätte, wäre langfristig nie mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen.
Wir müssen aber gar nicht weit in die Ferne schweifen, um zu sehen, wie renditegefährdend ein Investment in einzelne Länder sein kann. Am 9. Juli 2007 notierte der österreichische Aktienindex ATX bei einem Hoch von 4.981 Punkten, das als Folge der Finanzkrise nicht von Dauer war. Ende des Jahres 2023 stand der ATX bei 3.434 Punkten. Dass der Bauer eher isst, was er kennt, haben wir schon gehört. Nicht wenige Anleger gehen ähnlich vor. Verhaltensökonomen nennen die Vereinfachung, bevorzugt in Unternehmen des eigenen Landes zu investieren, „Home bias“. Das Vertrauen in Werte, die man zu kennen glaubt, ist höher, aber auf lange Sicht alles andere als gesünder, wenn es das Aktiendepot betrifft.
Wie man in Länder investieren kann, so ist das auch mit Branchen möglich. Branchen bringen langfristig keine höheren Renditen als ein Markt-Querschnitt über alle Branchen. Natürlich gelingt es dem US-Technologieindex Nasdaq, dem Musterbeispiel für Zukunftsaktien, immer wieder, den US-Markt über gewisse Zeiträume hinter sich zu lassen, allerdings um den Preis höherer Schwankungen.
Ich kenne Werner T. nicht, aber er ist ein sympathischer norddeutscher Rentner. Er äußert sich in einer Dokumentation des bayrischen Rundfunks über das gestrauchelte Unternehmen „Wirecard“. Werner ist lange für eine Reederei zur See gefahren. Wirecard, ein Anbieter von digitalen Zahlungssystemen, galt als Vorzeige-Unternehmen. Werner hörte von der Erfolgsstory und investierte 2018 und 2019 seine gesamten Eigenmittel von 72.000 Euro in diese Aktie.
2019 stand Wirecard bereits am Rande des Abgrunds, schon seit Jahren existierte der Vorwurf der Bilanzfälschung. Ein Bericht der „Financial Times“ erhärtete Vorwürfe, dass Umsätze erfunden wurden. Angebliche Treuhandkonten, auf denen 1,9 Milliarden Euro liegen sollten, waren nicht auffindbar. Wirtschaftsprüfer Ernst & Young verweigert das Testat der Bilanz 2019, das die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bei der Buchführung bestätigen sollte. Im Juni 2020 meldete Wirecard Insolvenz an, 2022 startete der Prozess gegen diejengen Angeklagten, die sich nicht ins Ausland abgesetzt haben.
Werner hat seine gesamten Ersparnisse für den Ruhestand verloren, weil er alles auf eine Karte gesetzt hat. Nicht jede Aktie wird zum Kriminalfall, aber die Risiken einer Einzelaktie können bis zum Totalverlust des Kapitals führen.
Mit einem diversifizierten Portfolio wäre das nicht passiert und niemand sollte dieses Risiko eingehen. Das gilt auch für Aktienprogramme, die börsennotierte Unternehmen für ihre Mitarbeiter auflegen. Bei aller Solidarität mit der eigenen Firma, sein ganzes Kapital darf man niemals so einseitig verteilen.
Der brillante Psychologe und Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in seinem großartigen Buch „Schnelles Denken. Langsames Denken“ festgehalten, dass die Finanzbranche einer sogenannten „Kompetenz-Illusion“ unterliege. Was hat er damit gemeint?
Die Ratingagentur Standard and Poor’s hatte vor über 20 Jahren eine richtig gute Idee, nämlich: Vergleichen wir aktiv gemanagte Investment-Fonds mit dem Index, der alle Aktienwerte eines Landes, einer Region oder eines Kontinents umfasst (de facto also mit Indexfonds). Mal sehen, wer besser abschneidet. Sie nannten diese Bewertungen Spiva scorecards (SPIVA = S&P indices versus active).
Das Ergebnis war und ist für die Investmentbranche nicht schlecht oder ernüchternd, es ist Jahr für Jahr eine schallende Ohrfeige. So schafften es laut der Spiva Europe Scorecard 2022 in den vergangenen 10 Jahren über 98 % der in Europa aufgelegten aktiven Aktienfonds weder den S&P 1200 (der die 1200 marktkapital-stärksten Unternehmen der Welt enthält) noch den S&P 500 (der die 500 marktkapital-stärksten Unternehmen der USA enthält) zu schlagen. Fazit: Je länger die Periode, desto geringer ist die Chance, dass ein aktiv gemanagter Fonds den Index schlägt. Ein Totalversagen, das sprachlos macht. Könnte man zumindest meinen.
Wer nun denkt, die Investmentbranche würde weinend am Straßenrand sitzen und das Handtuch werfen, sieht sich getäuscht. Warum auch? Ihre Produkte bleiben gesucht, von Pensionskassen, Unternehmen, Privat-Anleger/-innen. Gebühren, Ausgabeaufschläge, Provisionen und Co. sorgen dafür, dass der Kapitalstrom nicht versiegt. Zumindest in Richtung der Finanzbranche. Kahneman formuliert dazu süffisant: „Professionelle Anleger inklusive Fondsmanager lassen ein elementares Zeichen für Kompetenz vermissen: anhaltenden Erfolg.“ Es spricht leider nicht für die anlegende Mehrheit, dass dieses Kartenhaus tatsächlich Bestand haben kann.
So faszinierend es ist, dass gut ausgebildete Finanz-Fachleute trotz ihrer Kenntnisse den Markt nicht schlagen können und dies einfach nicht wahrhaben wollen, vielleicht gerade deshalb, weil sie so gut ausgebildet sind: Die gute Nachricht existiert dennoch: Man kann sich durchaus mit der entsprechenden Anlagestrategie schützen: Mit kostengünstigen, breit gestreuten ETFs im risikoreichen Teil (ja, es gibt auch nachhaltige ETFs) und einer defensiven Anlageform im risikolosen Teil (z. B. Staatsanleihen) zeigen Sie über 98 % der Investmentfonds, was Sache ist. Auch wenn diese das gar nicht wissen wollen.
Männer, ihr müsst jetzt stark sein. Es steht einfach fest: Frauen sind die besseren Anleger/-innen. Aber warum eigentlich?
Die US-Finanzprofessoren Brad Barber und Terrance Odean haben in einer Reihe von Studien das menschliche Verhalten in Verbindung mit Finanzprodukten und wirtschaftlichen Zusammenhängen untersucht. Bei einer umfassenden Analyse von über 65.000 Aktiendepots, die den Zeitraum 1991 – 1996 betraf, gelangen ihnen beeindruckende Nachweise. Sie teilten diese Depots in fünf Fünftel auf (jeweils 20 %) und fanden heraus, dass das Fünftel der „heavy trader“ ein um 6,5 % Prozent schlechteres Performance-Ergebnis als das der passivsten Anleger/-innen aufwies (17,9 vs. 11,4 %).
2011 haben Barber/Odean in der Studie „The behavior of individual investors“ eine tendenzielle psychologische These vertreten: „Wir glauben, dass Kaufen in die Zukunft gerichtet ist und Verkaufen in die Vergangenheit. Anleger kaufen Aktien, weil sie hoffen, dass etwas passieren wird, und verkaufen Aktien, weil etwas passiert ist“ (Übersetzung mg).
Dieser psychologische Effekt führt dazu, Verliereraktien zu halten und Gewinner-Aktien zu verkaufen. Die paradoxe Praxis, Gewinne mitzunehmen, die Verluste aber aussitzen zu wollen, schadet nicht nur der Performance, sie ist zudem steuerlich nachteilig, da beim Aktien-Verkauf Steuern fällig werden. Die Theorie ist klar: Aktien-Anleger/-innen sollten die Kosten ihrer Produkte minimieren, eine breite Streuung wählen und langfristig investieren. Die Praxis sieht anders aus: Sie haben zu wenig gestreute Portfolios, verkaufen Gewinner-Aktien, halten Verlierer-Aktien und verursachen damit eine unnötige Steuerbelastung.
In einer Abhandlung im Quarterly Journal of Economics mit dem Titel "Boys will be boys" konnten Barber/Odean bereits 2001 nachweisen, dass Männer, die risiko-bereiter und anfälliger für Selbstüberschätzung als Frauen sind, mehr handeln, damit mehr Transaktionskosten erzeugen und somit schlechter als Frauen abschneiden. Neben männlicher Selbstüberschätzung kommt der Spieltrieb hinzu: Männer tendieren dazu, sich messen zu wollen; wenn kein physischer Gegner da ist, ist eben der Markt der Gegner. Und das geht wie die Pausenhof-Schlägerei selten gut aus.
Sowohl für Investmentfonds als auch für Privatanleger/-innen gilt: Je mehr gehandelt wird, desto höher sind die Kosten – und in der Folge desto schlechter die Performance. Denn Tradingkosten, auch wenn sie niedrig ausfallen, sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Performance ist hingegen kurzfristig nicht voraussehbar. Es sei denn, man hat eine Glaskugel. Und zwar eine, die funktioniert.
Michael Grabher, 07 2023
„Bad news is good news“: Der Slogan ist schon seit Jahrzehnten bekannt und beschreibt, wie Medien ihre Kund/-innen einschätzen. Demnach stürzen sich die Menschen beim Medienkonsum auf schlechte Nachrichten und Schockmeldungen.
Entsprechende Berichterstattung führt zu mehr Leser/-innen, mehr Klicks, mehr Werbeeinnahmen. Dabei ist die Ausweidung von Skandalen, Terror, kuriosen Todesfällen, Promi-Trennungen, Krieg, Dammbrüchen etc. nichts Neues, im Gegensatz zu den jüngeren Facetten von Social-Media-Schlagzeilen. Früher waren die Medien einfach reißerisch, zumindest die weniger kritischen.
Über „Clickbaiting“, die wörtliche Übersetzung wäre in etwa „zum Klicken ködern“ sollen Internet-User/-innen zum Klicken verleitet werden, denn mit jedem Klick steigt der mediale Werbewert einer Website. Und das hat mit seriösem Journalismus gar nichts zu tun. So ist die vermeintliche Trennung von Prinz Harry und Meghan (Ein Online-Medienportal titelt im Juni 2023: „Trennung. Paukenschlag für Prinz Harry und Meghan“) nicht mehr als das zwischenzeitliche Ende einer Geschäftsbeziehung in Folge einer Netflix-Doku. So durchschaubar Fake-Schlagzeilen sind: Unser intuitives menschliches System reagiert und viele klicken.
Was können wir tun? Bewusst dagegenhalten und den digitalen Medienkonsum reduzieren. Nicht klicken. Ja, dazu muss man sich zwingen, wiederholt, konsequent sein. Kalter Entzug ist hart. Oder man sagt sich: Ich klicke trotzdem. Wir leben in einem freien Land. Letztlich bleibt es eine persönliche Entscheidung. Doch wir sollten nicht vergessen, dass auch unsere Kinder konsumieren - und dies ist beileibe nicht der einzige Stolperstein für Kinder- und Jugendliche in der Social-Media-Welt.
Was das mit Geld zu tun hat: Einiges! Denn auch in Geld- und Anlegefragen ist die digitale Versuchung gewaltig: Die Finanzindustrie, Makler, Edelmetall-Verkäufer, Krypotwährungs-Schöpfer, diverse Finanz-Experten und Berater, sie alle wissen, was das angeblich Beste für Sie ist. Angebliche Crash-Prognosen machen uns nervös, angebliche Chancen-Prognosen nachdenklich – willkürlich und unfundiert sind meist beide. In den meisten Fällen tragen Sie das Risiko und andere tragen einen Teil Ihres Geldes nach Hause – zumindest symbolisch. Betrügerische digitale Machenschaften wie Anlage-Betrug, Whatsapp-Neffentrick, Fishing noch gar nicht eingerechnet.
Doch es gibt eine gute Nachricht: Es ist nicht besonders aufwendig, sich um sein Geld zu kümmern, es genügt ein paar Schalthebel umzulegen und konsequent und psychisch gefestigt zu sein, das ist es, was ich in meinen Seminaren vermittle.
Dem immer wieder vorgebrachten Argument, dass Sparen nicht möglich sei, weil am Ende des Monats kein Geld mehr übrig sei, haben US-Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein mit ihrem Programm „Nudge“ eine Antwort vorgelegt, die banal einfach ist: Automatisiert und regelmäßig am Monatsbeginn sparen. Dann klappt es auch besser mit den Konsumausgaben, denn Sparen ist letztlich immer Konsumverzicht bzw. Konsumkontrolle.
Deshalb lautet mein Aufruf: Stellen wir der Komplexität von Finanzindustrie und Marketing eine neue Einfachheit gegenüber, lösen wir diese Komplexität auf und werden wir zu entspannten Anleger/-innen, die den Überblick behalten. It’s as simple as that.
Michael Grabher, 06 2023